Mit '''Häuptling''' wird ein ? vermeintlich oder tatsächlich ? führendes Mitglied einer Gesellschaft ohne ausgeprägtes Staatswesen ''(einer oder eines es)'' bezeichnet.
Im Nordwesten Deutschlands war ?Häuptling? die Bezeichnung des Oberhaupts Volksgruppen im 14. bis 17. Jahrhundert (siehe ).
Ursprünge der Bezeichnung
Die Verwendung des Ausdrucks ?? als für jemanden in einer Leitungsfunktion ist universell verbreitet und bildet etwa aus isch ''caput'' einen Wortstamm, der in allen romanischen Sprachen umgesetzt ist.
Das spezifische deutsche Wort ''Häuptling'', gebildet aus ''Haupt'' und dem Suffix ''-ling'', hat Entsprechungen () in mehreren anderen germanischen Sprachen und ist zuerst im bezeugt, wo ''hâvding'' oder ''hâvdling'' ein Mitglied des friesischen s bezeichnet. ''Hâvding (hauding)'' bezeichnete zunächst eine führende Person in einem Prozess oder einen Anführer in einem Fehde- oder Militärverband, dann ein führendes Mitglied des Adels. Im gibt es mit entsprechender Bedeutung das Wort ''hovetling''. Ab 1358 ist das Wort als ein Titel friesischer Machthaber und Standesherren belegt. Das niederländische Wort ''hoofdeling'' hat noch heute diese Bedeutung, und in seiner hochdeutschen Form ''Häuptling'' wird es allein in diesem Sinne auch von in seinem ''Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart'' angeführt (2. Auflage 1796). Die Autoren des Grimmschen ''Deutschen Wörterbuchs'' (Band 10 bei dtv, ursprünglich Band 4,2, 1877) weisen aber bereits auf einen erweiterten Gebrauch hin, so etwa durch und durch : (Tarfe, saracenischer Häuptling:)
In . Solche Häuptlinge eines Volkes sind groß in der Generation, in der sie wirken; manche dauern später hinaus, die meisten werden durch andere ersetzt und von der Folgezeit vergessen.?
Häuptlingsherrschaften in Friesland (14.?17. Jahrhundert)
Da sich im 14. Jahrhundert eher personal-herrschaftliche gegen territorial-genossenschaftliche Kräfte durchsetzten, verselbständigte sich die Gruppe dieser Vermögenden und Mächtigen (divites et potentes). Es entstanden regelrechte Häuptlingsherrschaften zwischen und , deren Führer sich durch kleine stehende Truppen und oftmals steinerne Häuser ostentativ absetzten. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurden die Häuptlinge zu einem klar umrissenen . In dieser Bedeutung wurde ''Häuptling'' im Hochdeutschen bis um 1800 gebraucht. Trotz der sozialen Umwälzungen hielt sich das Wort mit einer weniger rechtlichen als herrschaftlichen Bedeutung, und es wurde in einem allgemeineren Sinne für Anführer verwendet.
Übertragung auf (vermeintliche) Oberhäupter kolonisierter Völker
In der Frühphase des wurde das Konzept ''Häuptling'' auf überseeische Oberhäupter in nicht staatlich organisierten Gesellschaften übertragen. Allenfalls gleichfalls unscharfe Bezeichnungen wie ''Fürst'' wurden gelegentlich auf sie angewendet. Bei Vertragsverhandlungen traten durch das Konzept der Häuptlingschaft, das die Kolonisatoren verwendeten, oftmals Probleme auf. Dort nämlich, wo keine häuptlingsähnliche Institution und auch keine staatliche Herrschaftsgewalt angetroffen wurde, wurde diese Position kurzerhand geschaffen, indem man eine irgendwie herausragende Person auswählte, oder einfach jemanden, dem man eine gewisse interne Durchsetzungskraft zutraute. Dabei wurden grundsätzlich nicht Gruppen, sondern Individuen und immer Männer bevorzugt, auch dort, wo ein Ältestenrat, oder eine Gruppe von Frauen die einflussreichste Instanz war. Waren in den Augen der Fremden Hierarchien erkennbar, so nannte man die augenscheinlich weniger Einflussreichen ?Unterhäuptlinge? ''(sub-chiefs)''. Diese Unterhäuptlinge führten in ihren Augen einen ?Unterstamm?, der wiederum, wie der Hauptstamm, ein Territorium besaß.
Für die Kolonialpolitiker war es offenbar nicht vorstellbar, dass es Gruppen gab, die weder ein befehlshabendes Oberhaupt hatten noch ein Territorium mit definierten Grenzen beanspruchten oder deren Führung aus einer Gruppe bestand ? bestenfalls aus dem eher vertrauten Ältestenrat ? oder aus Frauen. Erst recht entsprachen zeitweilige Vereinigungen von Hausgruppen oder Familien, die saisonal und zur Erledigung bestimmter Aufgaben zusammenkamen, nicht der eng gefassten Vorstellung einer Führerschaft durch einen Häuptling (siehe dazu die nordamerikanischen '' zu sprechen, wenn in Gesellschaften kein Staatswesen existiert, und deren (vermeintliche) Machthaber als Häuptlinge zu bezeichnen. So war es etwa in Nordamerika nicht vorstellbar, dass es ethnische Gruppen ohne die Dreiereinheit ?Stamm?Territorium?Häuptling? gab.
Der Übersetzungsprozess der Bezeichnungen für führende Personen in ethnischen Gruppen wird noch durch den Übergang von den Hauptkolonialsprachen Englisch und Französisch ins Deutsche verkompliziert. In Nordamerika wurden ?Häuptlinge? als ''chefs'' bzw. ''chiefs'' bezeichnet ? Bezeichnungen, die wieder andere en aufweisen, die aber als Rechtsbegriffe in Verträge und Gesetze eingingen. War die Bezeichnung erst etabliert, wurde sie ohne weitere Prüfung, da es kein anderes geeignetes Wort zu geben schien, ins Deutsche übersetzt, und zwar als ?Häuptling?. Die Kolonisierten ihrerseits entwickelten Begriffe wie Traditioneller Häuptling (traditional chief), um gerade die hergebrachten Vorstellungen gegen die nach demokratischen Prinzipien gewählten Häuptlinge zu verteidigen.
Die sform von ?Häuptlingen? wurde aus dem eurozentristischen Blickwinkel oft undifferenziert wahrgenommen. Hohe Autorität, reine Sprecherfunktionen oder das Funktionsprinzip (Kriegshäuptling ist z. B. ein anderer als der Friedenshäuptling) wurden mit dieser Perspektive eingeebnet. Mit der Fixierung auf ?Häuptlinge? schuf man sich zudem ein ethnologisches Folgeproblem, da man empirisch ''tribes without rulers'' (dt. Volksgruppen ohne Anführer) auffand. Dies bereitete vor allem der britischen Kolonialverwaltung Schwierigkeiten, da sie auf die '''' eingestellt war: Dazu aber hätte es der ''direct rulers'' (Häuptlinge) bedurft, so dass man diesen Völkern zum Teil die ihnen fremde Rechtsform von ?Häuptlingen? aufzwang.
Heute sind die entsprechenden Bezeichnungen in den meisten Ethnien etabliert, wenn es auch Versuche gibt, die Eigenbezeichnungen für diese Art von Führerschaft(en) zu beleben. Im internen Gebrauch existieren sie vielfach neben der legalistischen Auffassung, vielfach tragen traditionelle Häuptlinge bewusst die lokalen Bezeichnungen, während die gewählten Häuptlinge, die stärker vom Staat abhängen, sich als ?chief? bezeichnen. Hier hat sich ein Gegensatz entwickelt, der im Deutschen nicht auftritt. Erst die Gegensätze von ?gewählter? und ?traditioneller? Häuptling geben dies wieder.
Zur Etablierung der Bezeichnung in den europäischen Ursprungsländern des Kolonialismus trugen insbesondere die weite Verbreitung der Bücher von und bei. Zu Lebzeiten der Autoren erschien die vermittelte Darstellung sehr realistisch und lebensgetreu. Insbesondere von Karl May weiß man, dass seine Darstellungen nur aus der ihm damals zur Verfügung stehenden Literatur stammten, zu denen vor allem die romane Coopers gehörten. Eine ähnliche Bedeutung kam schließlich dem Film zu, zunächst dem ??, später den .
Das Fehlen einer weiblichen Form der Bezeichnung übertrug zudem ?die europäische, sexistische Nicht-Wahrnehmung der Macht von Frauen auf die kolonisierten Gebiete und setzt[e] strukturelle Macht mit Männlichkeit gleich.? Somit wurde eine unüberbrückbare Differenz zwischen den europäischen Mächten und den von ihnen eroberten Gebieten hergestellt.
Häuptling in der Ethnologie
In der bezeichnet ''Häuptling'' (nur noch selten verwendet) die Anführer von (nach ) ? oder von Stammesgesellschaften und Häuptlingstümern nach anderen Autoren. Sie werden jedoch recht unterschiedlich beschrieben.
Der Stammeshäuptling wird aufgrund besonderer Fähigkeiten oder Verdienste für eine gewisse Zeit mit Autorität ausgestattet. Diese Form eines Oberhauptes wird heute auch als ?Big Man? bezeichnet. Das heißt, die Gemeinschaften akzeptieren nur ''zeitweilige'' charismatische Anführer in bestimmten Situationen (z. B. ?Kriegshäuptling?, ?Jagdhäuptling? u. Ä.). Machtbefugnisse sind damit in der Regel nicht verbunden, sondern lediglich Ansehen und Status. Erst die Kolonialmächte verlangten Handlungsbevollmächtigte nach europäischem Muster, die dann vereinfachend als Häuptling bezeichnet wurden.
Die Häuptlinge der Gesellschaftsform, die als ?Häuptlingstum? bezeichnet wird, erben ihr Amt. Häuptlinge stammen in der Regel aus der höchstrangigen Gesellschaftsschicht und haben gewisse Vorrechte an den Ressourcen. Ihre Macht ist allerdings beschränkt: Sie verfügen weder über ein Gewaltmonopol, noch über Handlanger.<ref name="dtv-Ethnologie">: ''Dtv-Atlas Ethnologie.'' 2. Auflage. dtv, München 2010, S. ??.</ref>
Siehe auch
- (Häuptling bei Angehörigen der )
- (schottischer Clanchef)
- (Irokesen)
Literatur
- .'' 2. Auflage. Band 13, de Gruyter, Berlin / New York 1999, S. 291?311.
- darstellten)
Weblinks
- {{Internetquelle
|autor=Gabriele Rasuly-Paleczek |url=http://www.univie.ac.at/ksa/html/inh/stud/studmate_files/Soz_Org_2011/Soz_Org_5_LV_Text_2011.pdf |titel=Formen der Sozio-politischen Organisation |werk=Einf�hrung in die Formen der sozialen Organisation |hrsg=Teil�5/5, Institut f�r Kultur- und Sozialanthropologie, Universit�t Wien |seiten=188?200 |datum=2011 |format=PDF; 227�kB |archiv-url=https://web.archive.org/web/20131004221606/http://www.univie.ac.at/ksa/html/inh/stud/studmate_files/Soz_Org_2011/Soz_Org_5_LV_Text_2011.pdf |archiv-datum=2013-10-04 |kommentar=Unterlagen zu ihrer Vorlesung im Sommersemester 2011 |offline=1 |abruf=2020-03-13 |abruf-verborgen=1}}
- Hans-Rudolf Wicker: (PDF: 387 kB, 47 S.) In: ''Leitfaden für die Einführungsvorlesung in Sozialanthropologie, 1995?2012.'' Institut für Sozialanthropologie, Universität Bern, 31. Juli 2012, S. 36?42.
Einzelnachweise
<references>
<ref name="Steuer 1999-294">
.'' 2. Auflage. Band 13. de Gruyter, Berlin / New York 1999, S. 294.
</ref>
<ref name="Steuer 1999-291">
Heiko Steuer: ''Häuptling, Häuptlingtum.'' In: Herbert Jankuhn, Heinrich Beck u. a. (Hrsg.): ''.'' 2. Auflage. Band 13. de Gruyter, Berlin / New York 1999, S. 291.
</ref>
<ref name="grimm">
</ref>
<ref name="Lexikon Mittelalter-1959">
So im ''.'' Band 4, Spalte 1959?1960; im ''Wörterbuch der Ostfriesischen Sprache'' (Band 2, etymologisch bearbeitet von J. ten Doornkaat Koolman, Norden 1882, S. 2) heißt es allerdings nicht ''Hävd(l)ing'', sondern ?afries. haved-ing, havd-ing (Häuptling, capitanus etc.) von haved etc. (Haupt, caput)?.
</ref>
<ref name="Uhland 1815">
- ''Konradin, Fragment.'' In: Derselbe: ''Gedichte (Ausgabe letzter Hand).'' 1. Auflage. 1815 (erweiterte Ausgabe im Jazzybee Verlag Jürgen Beck, Altenmünster 2012, ohne Seitenzahlen: in der ''Google Buchsuche'').
</ref>
<ref name="Eckermann 1837">
).
</ref>
<ref name="Mendivil 2007">
Der peruanische Musikethnologe Julio Mendívil schreibt dazu: ?Die Ethnologie ist immer ein westliches Geschäft gewesen. Unter der Schirmherrschaft eines Kolonialsystems entstanden und mittels des logistischen Rahmens verbreitet, welchen die Nationalstaaten ihr zur Verfügung stellten, etablierte sie sich als eine wissenschaftliche Disziplin, die, wie Asad es formuliert, die strukturelle Rangordnung des Weltsystems reproduziert, indem sie dazu beiträgt, eine Politik der Differenz zwischen dem Westen und den Anderen zu konstruieren und festzuschreiben. Die Beschreibung des Fremden beinhaltet ? gewollt oder ungewollt ? immer einen Kontrastcharakter und fungiert dadurch als Negation des Eigenen. In seinem Buch ''Orientalism'' konnte zeigen, dass die Logik ethnographischer Beschreibungen auf einem binären Repräsentationssystem basiert, das den Anderen als Oppositionsfigur für die Konstituierung der eigenen Identität benutzt?. Zitiert nach: Julio Mendívil: ''Das »zivilisierte Denken«. Reflexionen eines peruanischen Musikethnologen über eine Feldforschung in den »traumatischen Tropen« Deutschlands.'' In: Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai, Sheila Mysorekar (Hrsg.): ''re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland.'' Münster 2007, S. 138; bezüglich Asad nimmt Mendívil Bezug auf Talal Asad: ''Introduction.'' In: Derselbe: ''Anthropology and the Colonial Encounter.'' Humanities Press, Atlantic Highlands 1973, S. 9?12.
</ref>
</references>
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